Horizonte politischer Bildung in religiös-konfessioneller Trägerschaft

Gemeinsame Fachtagung der Muslimischen Akademie Heidelberg i.G. | Teilseiend e.V. und der Eugen-Biser-Stiftung in Kooperation mit der Bundeszentrale für politische Bildung, 9.-11. Mai 2022

 

Einführende Worte

Am Anfang steht eine Diagnose: Die Bundesrepublik Deutschland ist ein von Migration geprägtes Land, das in vielerlei Hinsicht – sei es kulturell, religiös, sozial, oder politisch – als plural bezeichnet werden kann. Die Vielfalt an Standpunkten bilden zuweilen Gemengelagen, die unübersichtlich erscheinen, gesellschaftliche Spannungen evozieren und Umbrüche markieren können. Zugleich ist der kritische Austausch, die Schaffung von Diskursräumen und der stete Versuch, möglichst viele Stimmen daran teilhaben zu lassen, Wesenskern einer demokratischen Gesellschaft. In diesen „Zeiten des Umbruchs“ – so der Untertitel der Fachtagung – stellt sich die Frage, welchen Anteil religiös-konfessionelle Träger an der politischen Bildung haben und welche Rolle ihre Stimme im gesellschaftlichen Diskurs bereits hat und zukünftig haben sollte. Ausgehend von der Feststellung, dass es in den vergangenen Jahrzehnten zu einem Zuwachs an Gründungen religiös-konfessioneller Träger sowohl im Erwachsenen- als auch Jugendbereich gekommen ist, in denen Menschen mit verschiedenen
kulturellen Hintergründen zivilgesellschaftlich engagiert sind und sich in der politischen Bildungsarbeit einbringen, ergeben sich nicht nur Fragen der Anerkennung und gesellschaftlichen Teilhabe, sondern gleichsam Fragen nach Professionalisierung und kritischer Selbstreflexion in der Trägerlandschaft. Ziel der gemeinsamen Fachtagung war jedoch nicht nur die jeweilige Introspektion der Teilnehmenden aus Wissenschaft und Praxis, sondern im Vordergrund standen Begegnung, Austausch und der Wille, voneinander zu lernen. Dabei kamen muslimische, jüdische, christliche und säkulare Stimmen zu Wort, die sich gegenseitig ihre politische Bildungsarbeit vorstellten, Gemeinsamkeiten und Unterschiede erörterten und mit dem Blick auf die vergangenen Jahre eine Vision für die anstehenden Herausforderungen zu entwickeln suchten.

Veranstalter

Die Fachtagung „Horizonte politischer Bildung in religiös-konfessioneller Trägerschaft. Selbstverständnis, Aufgaben und Bündnisse in Zeiten des Umbruchs“ wurde in Kooperation der Muslimischen Akademie Heidelberg i.G. | Teilseiend e.V., der Eugen-Biser-Stiftung und der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) im Tagungszentrum Kolpinghaus München ausgerichtet. Teilseiend e.V., gegründet 2013, ist aus der Initiative von Muslim*innen in Heidelberg hervorgegangen. Der Verein versteht sich als Plattform für muslimisches zivilgesellschaftliches Engagement, politische Bildungsarbeit und Empowerment.
Teilseiend e.V. verfolgt das Ziel der Gründung der Muslimischen Akademie Heidelberg. Zu den Schwerpunktthemen der Akademie gehören u.a. die politische Bildung in der postmigrantischen Gesellschaft, Partnerschaften von und mit Muslim*innen, diversitätssensible Jugendbildung, Islam- und Muslimfeindlichkeit, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und gesellschaftliche Teilhabe. Die Aktivitäten des Vereins bewegen sich an der Schnittstelle von Gesellschaft, Wissenschaft und Theologie. Die Eugen-Biser-Stiftung, gegründet 2002 in München, sieht sich in ihrem Selbstverständnis dem Dialog aus christlichem Ursprung verpflichtet. Ein wesentliches Ziel ihrer Arbeit, ist die Etablierung interreligiöser Kompetenzen in der Demokratiebildung. Die Stiftung betätigt sich dabei im Bereich der (außer-)schulischen Bildung und widmet sich seit 2019 dem Thema „Religion in der politischen Bildung“.
Die Bundeszentrale für politische Bildung, gegründet 1952, ist als Behörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern mit Sitz in Bonn daran interessiert, das gesellschaftliche Bewusstsein für Demokratie und politische Bildung zu fördern. Dabei bietet sie nicht nur fundierte Informationen für Bürger*innen, sondern fördert den Austausch mit Trägern der politischen Bildungsarbeit zu aktuellen Themen. Ausdruck der gemeinsamen Fachtagung ist nicht nur das Interesse an einer Zusammenarbeit, sondern zugleich mit politischen Bildner*nnen ins Gespräch zu kommen, aus denen im besten Fall
neue Bündnisse erwachsen können.

 

Tagungskonzept und inhaltliche Schlaglichter

Das dreitägige Tagungsprogramm setzte auf verschiedene Formate der Wissensvermittlung und des Austausches: Impulsbeiträge und Keynotes seitens der Veranstalter, Podiumsdiskussion, Vorträge, Projektpräsentationen, Panels zu Aspekten politischer Bildungsarbeit in religiöser Trägerschaft, ein Offenes Forum zur Vorstellung der konfessionellen Träger und ihrer Arbeit sowie gemeinsamer Austausch im Plenum. Die Fachtagung richtete sich an Akteure aus Wissenschaft und politischer Bildungsarbeit und bot über 70 Teilnehmenden Zeit für Diskussionen. Fünf zentrale Leitfragen dienten zu Beginn der Orientierung: Welches Potenzial liegt einer religionssensiblen Bildungsarbeit, auch unter veränderten Bedingungen, zugrunde? Auf welche Weise kann es künftig gelingen, angestammte und neue Zielgruppen erfolgreich anzusprechen? Bedarf es einer kritischen Überprüfung der eigenen Qualitätsstandards? Was können christliche, muslimische und jüdische sowie andere Träger der politischen Bildung voneinander lernen? Gibt es eine geteilte Vision für unser Zusammenleben und, wenn ja, welche Kooperationen und Bündnisse können eine nachhaltige Stärkung von Glaubensperspektiven in der politischen Bildung zielführend und zukunftsfähig sein? Die Fragen zielten z.B. auf die Reflexion möglicher Potenziale religionssensibler Bildungsarbeit und die Überprüfung von Qualitätsstandards ab, regten aber auch dazu an, Kooperationen und Bündnisse als relevanten Aspekt wirksamer und nachhaltiger Bildungsarbeit gerade für neue Akteure im Feld zu betrachten.
Im Folgenden sollen einige inhaltliche Schlaglichter auf das reichhaltige Programm geworfen werden. Den Auftakt bildete die Keynote von Prof. Dr. Markus Vogt (Eugen-Biser-Stiftung), der als katholischer Theologe und Kenner der christlichen Sozialethik mit Blick auf das Tagungsthema sechs Aspekte herausstellte:

1. Die Herausforderung einer politischen Ethik in Zeiten der Krise demokratischer Systeme, 2. Die Fähigkeit zum Perspektivwechsel und der proaktiven Toleranz, die ohne Religion nicht auskommen könne, 3. Die ambivalente Rückkehr der Götter in den öffentlichen Raum, 4. Ein Öffentlichkeitsauftrag, den der Referent bei den abrahamitischen Religionen verortet, 5. Zur Bedeutung von Bildung für das Verständnis von Religion für die politische Bildung, in der er die „unbedingte Würde des Menschen ohne Religion“ für nicht denkbar hält, und 6. Die interreligiöse Sprachfähigkeit als Mehrwert für demokratische Strukturen, in der er die Notwendigkeit zur Auseinandersetzung des Einzelnen mit der eigenen Sozialisation verortet, aber auch für eine positive Religionsfreiheit votiert, die in einer pluralen Gesellschaft (weiterhin) die Freiheit bietet, Teil des öffentlichen Raums zu sein. Cemile Giousouf von der Bundeszentrale für politische
Bildung hielt anschließend eine Keynote, in der sie mit soziologischem Blick darauf aufmerksam machte, dass der politische Diskurs lange Zeit von der Säkularisierungsthese geprägt war. Sie betonte die Bedeutung, die organisierte Religionen nach wie vor für politische Bildungsarbeit und Wohlfahrt haben, machte zugleich aber auch auf Herausforderungen im Kontext von Religion wie z.B. gruppenbezogene Abgrenzungen (Identitätspolitiken), religiös begründeten Fundamentalismus, Islamfeindlichkeit und Antijudaismus und Spannungen zwischen einer multireligiös und teilsäkular geprägten Gesellschaft aufmerksam.
Als wichtig erachtet sie das Kontroversitätsgebot, welches das Zusammenleben verschiedener Gruppen nicht als ein Nebeneinanderleben meint, sondern die Notwendigkeit zum Austausch betont. Die Förderung einer religious literacy der Bevölkerung betrachtet sie in diesem Zusammenhang als anhaltende Aufgabe.
Darauf folgte eine Podiumsdiskussion zum Thema „Verschiedene Hintergründe, gemeinsamer Auftrag? – Aufgaben, Besonderheiten und Herausforderungen
politischer Bildung in religiöser Trägerschaft“, die von Tanja Berg (Minor – Projektkontor für Bildung und Forschung) moderiert wurde. An der Diskussion waren Cemile Giousouf (BpB), Serap Ermiş (Alhambra Gesellschaft), Dr. Siegfried Grillmeyer (Caritas-Pirckheimer-Haus) und Prof. Dr. Oliver Hidalgo (Westfälische Wilhelms- Universität Münster) beteiligt. Herausforderungen politischer Bildungsarbeit werden v.a. in der mangelnden religiösen Grundbildung von (jungen) Bürger*innen, aber auch politischen Bildner*innen gesehen und es wurde kritisch diskutiert, inwiefern der Lernort Schule ein Raum für religiös geprägte politische Bildungsarbeit sein sollte und könnte. Mit ihrem Vortrag „Potenziale und Bedarfe einer politischen Bildung in muslimischer Trägerschaft“
gab die Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Sabine Achour (Freie Universität Berlin) wichtige Impulse für den zweiten Tagungstag. Insbesondere machte sie auf ein Repräsentationsdefizit von Menschen muslimischen Glaubens in der politischen Arbeit aufmerksam und betonte, dass politische Bildung für alle Bürger*innen gedacht sei und adressierte konkrete Bedarfe, wie z.B. die Abkehr von inhaltlicher Oktroyierung für spezifische Zielgruppen, die Notwendigkeit zur Professionalisierung von Trägern und eine stärkere Reflexion politischer Kultur im Kontext religiöser und kultureller Vielfalt. Der Schwerpunkt der Fachtagung wurde im Folgenden auf Einblicke aus der Praxis der politischen Bildungsarbeit gerichtet. Zunächst präsentierte Dr. Patrick Brooks von der Muslimischen Akademie Heidelberg i.G. zentrale Ergebnisse des bpb-Modellprojekts „Aus dem Glauben heraus?! – Politische Bildung in muslimisch-konfessioneller Trägerschaft“. Dabei zeigt sich, dass es einen hohen Bedarf seitens der 30 beteiligten Träger gibt, sich zu vernetzen. Ein Leitbild für muslimische politische Bildung orientiere sich u.a. an einem im Koran verankerten Bildungsauftrag, verknüpft mit sozialer Verantwortung, der Förderung des Guten und der demokratischer Wertebildung. Das Programm zur Demokratiebildung „Interreligiöses Lernen und politische Bildung in schulischen und außerschulischen Kontexten“, vorgestellt von Dr. des. Sabine Exner-Krikorian und Dr. Selcen Güzel von der Eugen-Biser-Stiftung, verfolgte einen Ansatz, der auf Wissen, Verstehen, Vermitteln und zivilgesellschaftlichem Engagement Leben gründet. Im Fokus steht für sie die Förderung der interreligiösen Sprachfähigkeit
und die Befähigung zur aktiven Teilnahme an demokratischen Prozessen. Die zweite Tageshälfte gab den Teilnehmenden in mehreren Panels Raum, sich über Themen der politischen Bildungsarbeit, Wege der nachhaltigen Etablierung in der Trägerlandschaft und mögliche Qualitätskriterien für eine religiöse politische
Bildungsarbeit auszutauschen. Deutlich wurde, dass es der steten (selbstkritischen) Reflexion des eigenen Standpunkts und der Wahrnehmung anderer bedarf, dass Kooperationen und der Ausbau von Netzwerken essenziell seien und dass die Wirksamkeit und Nachhaltigkeit der eigenen Arbeit geprüft werden müssten.

Resümee

Mit der Frage nach den Potenzialen politischer Bildungsarbeit in religiös-konfessioneller Trägerschaft haben die Veranstalter verschiedene Akteure
miteinander ins Gespräch gebracht. Ihnen allen gemeinsam ist das Interesse an zivilgesellschaftlichem Engagement, religiös und sozialethisch begründeter politischer Bildungsarbeit und der Identifizierung gesellschaftlicher Themen, die gegenwärtig von besonderer Relevanz sind: Antidemokratische und antipluralistische Diskurse, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Rassismus, Mangel an struktureller Teilhabe und Voice-Optionen. Es zeigte sich zugleich die Notwendigkeit, Dialogbereitschaft immer wieder neu aufzubringen und neue Formate zu entwickeln, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu adressieren
und die Erkenntnis, Religion und Politik weniger als antagonistische gesellschaftliche Sphären zu denken.

Dr. Sabrina Weiß, Religionswissenschaftliches Institut, Universität Leipzig